Bestatter Alain Weissen erklärt Visper Primarklassen seinen Beruf. Die Schüler haben keine Berührungsängste, aber viele Fragen.
Sie sieht aus wie ein grosser schwerer Stein, die Wasserurne. Im Wasser löst sie sich schnell auf. Asche und Urne werden so in den natürlichen Kreislauf zurückgegeben. Im Oberwallis ist diese Urne sehr beliebt, erklärt Bestatter Alain Weissen den Visper Primarschülern der sechsten Klasse, die in seinem Bestattungsinstitut in Raron zu Gast sind. Im Raum mit den Särgen und Urnen gibt es viel zu sehen. Särge in den verschiedensten Formen und Ausführungen, ebenso vielfältig die Auswahl bei den Urnen. Die Schülerinnen und Schüler hören aufmerksam zu, es ist erstaunlich still im Raum. Und dies, obwohl an diesem Montagnachmittag gleich drei Klassen gemeinsam bei Weissen sind. «Ich trage einen kleinen Teil der Asche meiner verstorbenen Katze in einer Kette um meinen Hals», erzählt ein Schüler. Niemand lacht. Die Zahl der Schulmessen für das laufende Schuljahr in der Region Visp wurden bekanntlich massiv gekürzt. Der Pfarrei wurde dafür einen Tag für katechetische Anlässe zugesprochen. Der Besuch beim Bestatter gehört zu diesen Anlässen. Auf dem Lehrplan der Stufe 8H ist das Thema Tod, das Leben nach dem Tod und ein Friedhofsbesuch vorgesehen. Dennoch ist die Anzahl der Lektionen, die sich mit dem Thema Tod befassen, sehr gering. Ausserhalb des Religionsunterrichts ist der Tod kaum ein Thema im Schulunterricht. Ein Besuch beim Bestatter hat sich deshalb für Katechetin Edith Meul angeboten. «Früher, als die Grosseltern beispielsweise noch zu Hause aufgebahrt wurden, gehörte der Tod viel mehr zum Leben als heute», sagt Meul. Mit insgesamt fünf Schulklassen, konkret 55 Schülerinnen und Schülern, ist sie bei Bestatter Weissen. «Die Kinder sind nicht geschockt, sondern eher sehr interesseirt. Sie haben beispielsweise explizit nach Kindersärgen und Kinderbestattungen gefragt », sagt Meul. Einige Kinder erzählen, dass sie vorher nicht genau wussten, was sie beim Bestatter erwartet. «Ich kann kein Blut sehen und mir wird in engen Räumen schnell schlecht. Darum habe ich schon etwas gezweifelt, ob ich kommen will oder nicht», so ein Schüler. Seine Bedenken waren unbegründet. Insgesamt wurden drei Kinder von ihren Eltern für den Besuch beim Bestatter abgemeldet. Die Gründe dafür waren verschieden. Leichen bekommen die Schülerinnen und Schüler bei Alain Weissen keine zu Gesicht. Es geht im Allgemeinen um seinen Beruf oder auch um die verschiedenen Bestattungsarbeiten. Weissen weiss, was man Primarschülern zumuten kann. «Mit diesem Besuch wollen wir die Kinder vorbereiten auf das, was zwangsläufig auf sie zukommt, wenn sie irgendwann einen geliebten Menschen verlieren. So sind sie später nicht überfordert.» Es gibt typische Walliser Särge. Sie unterscheiden sich in der Form etwas zu anderen Särgen. Alain Weissen will von den Kindern wissen, warum das so ist. Niemand hat eine Antwort, auch nicht der anwesende Sakristan der Visper Pfarrei. «Die Katholiken wollen, dass sie mit den Händen im Gebet verschränkt, beigesetzt werden », sagt Weissen. Bei den Reformierten ist es anders. Ein Schüler will wissen, ob es für eine Kremation auch einen Sarg braucht: «Man zahlt für einen Sarg, der dann verbrannt wird?» Auch hier hat Weissen die passende Antwort. Er erklärt den Schulkindern, wie eine Kremation abläuft, warum man vorher den Herzschrittmacher herausnehmen muss und welche ungewöhnlichen Wünsche manche Menschen für ihre Bestattung haben. Vanessa Jakovic, eine der Schülerinnen, hat sich auf den Besuch beim Bestatter gefreut. Sie sagt: «Mich hat es überrascht, dass es so viele verschiedene Formen von Särgen gibt und dass das im Zusammenhang mit dem Glauben steht.» Kinder stellen andere Fragen als Erwachsene, sagt Weissen. Beispielsweise sei den Erwachsenen klar, warum man eine Aufbahrung mache, den Kindern müsse man dies zuerst erklären. «Kinder verarbeiten den Tod eines geliebten Menschen ganz anders als Erwachsene, können oft besser damit umgehen », sagt Weissen. Weissen rät allen Eltern, die Dinge beim Namen zu nennen. Kindern beispielsweise nicht zu erzählen, der Grossvater, der gestorben sei, schlafe nur. Oft würden Kinder den Verstorbenen für ihre letzte Reise eine Zeichnung oder ein Plüschtier mitgeben. Man solle die Kinder aber nicht zwingen, bei der Aufbahrung dabei zu sein. Primarschüler Matteo Zuber hat seinen Grossvater verloren. «Zu Hause reden wir regelmässig über den Tod», sagt er. Und Schüler Yanis Kenzelmann sagt: «Mit seiner Familie sollte man vorher über seine Wünsche reden, damit alle Bescheid wissen.» Was auffällt, viele der Schüler haben an diesem Nachmittag kaum Berührungsängste, sind offen und interessiert. Anders als manch ein Erwachsener. «Der Tod ist immer noch ein Tabuthema. Viele wollen damit nichts zu tun haben», sagt Alain Weissen. Oft sitze er mit einer Trauerfamilie am Tisch und niemand wisse, was sich der Verstorbene gewünscht habe. Dann gebe es halt eine Kremation, weil das alle heute so machen. «Über den Tod sollte man offen reden. Man weiss nie, wann es vorbei ist», sagt Schülerin Lenia Rossel und macht sich gemeinsam mit ihren Mitschülern auf in den Aufbahrungsraum von Alain Weissen. Dort, wo man durch das grosse Panoramafenster einen wunderbaren Blick auf die Rarner Burgkirche hat.
Melanie Biaggi